Während der Pandemie haben wir uns alle für einen kurzen Moment auf das Wesentliche konzentriert:die Pflege und Rettung vonLeben.
Innerhalb weniger Tage änderten sich die üblichen Medienthemen: Es wurde über Pflege und nicht über Gesundheitskostengesprochen, man sah Bilder von Pflegenden und Verkäuferinnen statt von Ökonomen und Managern, und Bilder von Masken statt den Must-Haves derFrühlingsmode 2020 !
Dieser Moment dauerte jedoch nicht an und wir kehren zurück zur "Normalität". Doch diese Normalität wollen wir nicht mehr. Bereits beim Frauen*streik am 14. Juni 2019 haben wir für gesellschaftliche Veränderung mobilisiert und eine Welt ohne Ungleichheit, Diskriminierung und Gewalt gefordert.
Ein Jahr und eine Pandemie später haben wir unsere Forderungen wieder hervorgenommenund müssen feststellen: trotz der grossen Mobilisierung sind nur wenige Forderungen von den Arbeitgebern ernsthaft aufgenommen worden.
Mit der Pandemie sind unseren Forderungen aktueller und dringlicher denn je, und wir führen unseren Kampf fort, denn wir wollen keine Rückkehr zur Welt von vorher!
Frauen im Kampf gegen den Virus.
Als Frauen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, standen viele von uns an vorderster Front: In Spitälern, in Pflegeheimen, in Sozial- und Kinderbetreuungseinrichtungen haben wir für andere gesorgt, oft unter schwierigen Bedingungen: Personalmangel, fehlende Ausstattung, Aussetzung des Arbeitsgesetzes fürs Spitalpersonal. Mehr noch als bisher bekräftigen wir die Notwendigkeit, die öffentlichen Dienste deutlich zu stärken: Betreuung, Kinderbetreuung, die Pflege abhängiger und/oder sozial schwacher Menschen dürfen nicht in den Händen des Privatsektors liegen, sondern müssen ein öffentlicher Dienst sein.
Der Lockdown hat die Mängel sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Ausstattung von Be-treuungseinrichtungen für ältere Menschen, sei es in Pflegeheimen oder zu Hause, sowie bei der Kinderbetreuung aufgezeigt. Da die Grosseltern als Risikopersonen ausfielen,waren viele Familien gezwungen sich neu zu organisieren, teilweise zum Preis einer äusserst hohen Belastung, wenn sie keinen Corona-Erwerbsersatz erhielten.
Stärkung der öffentlichen Dienste.
Wir steuern auf eine Wirtschaftskrise zu und die Arbeitgeber fordern bereits Lohnkürzungen sowie eine Verlängerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit und stellen soziale Errungenschaften, insbesondere im Bereich der Renten, in Frage. In diesem Kontext unterstreichen die VPOD-Frauen die Notwendigkeit, die öffentlichen Dienste zu stärken, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.
Die Gesundheitskrise muss dazu führen, die Gesellschaft umzustrukturieren und alles neu zu überdenken, nicht mehr auf der Grundlage der Gewinne für 1% der Bevölkerung, sondern auf der Grundlage der Bedürfnisse und Wünsche der 99%.
Die Prioritäten umkehren.
Die Pandemie muss zum Anlass genommen werden, die Prioritäten unserer Gesellschaften umzukehren und das Gemeinwohl und das allgemeine Interesse in den Mittelpunkt zu stellen. Die ersten Beschlüsse des Bundes zur Lockerung gehen jedoch nicht in diese Richtung. Mitten in der Klimakrise hat der Bund unter dem Vorwand, Arbeitsplätze zu retten, und ohne ökologische oder soziale Auflagen 2 Milliarden Franken an die Luftfahrtbranche gezahlt.
Gleichzeitig wurden nur 65 Millionen Franken für den Kinderbetreuungsbereich bereitgestellt. Dabei ist überdeutlich geworden, dass die familienergänzende Kinderbetreuung unverzichtbar ist und auch Arbeitsplätze schafft. Insgesamt hat der Bund in nur wenigen Tagen 60 Milliarden freigegeben, um den Forderungen der Arbeitgeber nachzukommen, während uns seit Jahren gesagt wird, dass es kein Geld für Gesundheit, Kinderbetreuung, Soziales, Bildung und Kultur, kein Geld für unsere Renten, kein Geld für einen Gleichstellungsplan oder für eine Strategie zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gibt.
Wir haben jetzt gesehen, dass dort, wo der politische Wille vorhanden ist, auch die finanziellen Mittel folgen.
Und jetzt?
Wir wollen, dass die Behörden so viel Geld für die Stärkung und Entwicklung der öffentlichen Dienste in feministischer und ökologischer Perspektive zur Verfügung stellen, wie sie für die "Rettung der Wirtschaft" zur Verfügung gestellt haben.
Unsere Forderungen sind aktueller denn je. Am 14. Juni 2019 waren mehr als 500.000 Frauen und solidarische Männerauf der Strasse. Die VPOD-Frauen haben in diesem Kontext zahlreiche Grundlagen erarbeitet und prioritäre Forderungen formuliert. Ein Jahr später sind sie, nachdem die Corona-Pandemie die wichtige Rolle der Frauen in der Gesellschaft nochmal deutlich hervorgehoben hat, aktueller denn je.
Die Gesellschaft ändern, nicht die Frauen.
Was wir vor einem Jahr angeprangert haben, nämlich ein kapitalistisches und patriarchalisches System, das uns in eine Sackgasse führt, ist durch die Pandemie bestätigt worden. Nach dreissig Jahren Sparpolitik ist der Gesundheitssektor, insbesondere die wirtschaftlich unrentablen Dienstleistungen, geschwächt: Spitälerwurden geschlossen oder privatisiert, Betten und Personal abgebaut, ganz zu schweigen von den Alters-und Pflegeheimen und den Spitexdiensten, welche die Stiefkinder des Gesundheitssektors sind.
Das Virus hat gerade die Alters-und Pflegeheime besonders hart getroffen, und das Personal -zumeist Frauen, viele mit Migrationshintergrund, gering qualifiziert und mit niedrigen Löhnen – musste unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten: zu wenig Personal, Mangel an grundlegender Ausrüstung wie Schutzklei-dung und Masken, mangelnde Ausbildung.
Nur dank dem uneingeschränkten Engagement der Angestellten konnte das Gesundheitssystem weiterhin funktionieren und Leben retten und pflegen.
Es ist an der Zeit für einen grundlegenden Wandel: die Menschen müssen wieder ins Zentrum un-serer Fürsorge und unserer politischen Aktionen rücken. Wir lassen nicht locker.
Zum 14. Juni 2020 haben wir unsere Forderungen unter dem Licht der Pandemie-Erfahrung angesehen. Sie sind aktueller denn je!
Die Krise hat deutlich gemacht, dass Frauen drei Viertel der Angestellten in den sogenannt «systemrelevanten» Grundversorgungsberufen darstellen
Im Allgemeinen sind die Tätigkeiten in diesen Bereichen jedoch schlechter bezahlt als die überwie-gend «männlichen»Tätigkeiten in technischen Bereichen, im Management oder in Sektoren wie dem Versicherungs- und Finanzwesen.
Und doch sind dies die Berufe, die sich als unverzichtbar für das Funktionieren der Gesellschaft erwiesen haben. Während alles angehalten oder verlangsamt wurde, arbeiteten diese Angestellten weiter. Die Zahlung einer Prämie, wie in anderen Bereichen, ist das Mindeste, um den ausserordentlichenEinsatz anzuerkennen.